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Storytime: Ans Bett gefesselt

  • Autorenbild: Medical Sarah
    Medical Sarah
  • 9. Apr. 2019
  • 2 Min. Lesezeit

Noch während meiner Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin wurde mir klar, wie ausgeliefert man der Welt ist, wenn man das Bett nicht verlassen kann.

Eines schönen Spätdienstes bekamen wir eine Aufnahme über die Rettungsstelle auf die Pneumologie. Der aufgenommene Herr jenseits der 60er Jahre keuchte schwer beim Laufen, sein Brustkorb hob und senkte sich schnell. Ständig fragte er wo er hier sei, ob er jetzt wieder gehen könne? In der Übergabe fielen die Worte zu allen Qualitäten desorientiert. Er weiß nicht wo er ist, welchen Tag oder welche Zeit wir haben, noch kann er die Situation einschätzen und Personen erkennt er auch nicht immer wieder. Da die Schwestern ihn im Auge behalten wollten, kam er in das Zimmer direkt gegenüber von der Schwesternkanzel, ein 2-Bett-Zimmer. Besagter Herr versuchte während des gesamten Spätdienstes immer wieder die Station zu verlassen und erregte dabei großes Aufsehen. Er pflückte sich den Sauerstoffschlauch aus der Nase, riss sich das Krankenhaushemdchen vom Leib und bewegte sich dann nackt und schwer schnaufend, einen Stuhl vor sich hin schiebend vorwärts. Dabei rief er aus voller Kehle um Hilfe und fragte warum man ihn hier festhalte? Als Schwesternschülerin war es meine Aufgabe ihn ,,einzufangen", zu beruhigen, zurück ins Zimmer zu begleiten, wieder anzukleiden und darauf zu achten, dass er genug Sauerstoff bekam. Er war für diesen Dienst „ mein “ Patient. Es war ein anstrengender Dienst, ständig war ich mit ihm beschäftigt. Irgendwann, ich hatte ihn bestimmt schon 8 mal zurück auf sein Zimmer begleitet, hörte ich plötzlich jemand anderen um Hilfe rufen. Beunruhigt folgte ich den Rufen um in eben das Patientenzimmer zu kommen, dass ich an diesem Tag schon so oft gesehen hatte. Nur, dass diesmal sein Bettnachbar um Hilfe rief. Mein desorientierter Patient war zu ihm ins Bett geklettert, überzeugt, dass es sich bei dem Bettnachbarn um seine schwerkranke Frau handle, die unbedingt sofort ins Krankenhaus müsse. Besagter Bettnachbar, war schon länger bettlägerig und ebenfalls dement, das Konzept der Klingel hatte er noch nie verstanden, doch um Hilfe rufen, das wusste er noch wie es geht. Zunächst sprachlos, wegen der Absurdität dieses Szenarios, setze ich mich schließlich in Bewegung und konnte „ meinen “ Patienten überzeugen, dass ich mich sofort um seine Frau kümmern würde und wir ja bereits im Krankenhaus seien und ihr geholfen wird, aber dafür müsse er mit mir kommen und den Schwestern Platz zum Arbeiten machen. So begleitete ich „ meinen “ Patienten zurück zu seinem eigenen Bett, während eine Schwester, die auch den Hilferufen gefolgt war, den Bettnachbar beruhigte. Im Nachhinein ließ ich das erlebte nochmal Revue passieren und versetzte mich in den Bettnachbarn hinein. Wie schrecklich musste es sein 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr, im Bett zu liegen. Nicht mehr aufstehen zu können, nicht weglaufen zu können, wenn sich jemand Fremdes nähert und wer weiß was mit einem anstellt. Darauf angewiesen zu sein, dass einem jemand zu Hilfe eilt, wenn man ruft. Sich selbst nicht mehr helfen können. Ich denke, man sollte sich der Tragweite einer Einschränkung bewusst sein und auch mit wie viel Angst das verbunden sein kann.

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